Mittwoch, 2. November 2011

Zur Erinnerung

Ende November 1857 ertappt Karl Marx die Mehrwerträuber auf frischer Tat.
Er enthüllt das spezielle Entwicklungsgesetz der kapitalistischen Gesellschaft und verwandelt dadurch den historischen Materialismus endgültig aus einer genialen wissenschaftlichen Hypothese in eine auch ökonomisch unterlegte Theorie. Ein die notwendige Konsumtion und den Ersatz verbrauchter Produktionsmittel übersteigendes Mehrprodukt gab es schon in den früheren Klassengesellschaften. Seine Aneignung durch die Herrschenden beruhte
auf unverhüllter Gewalt. Im Kapitalismus dagegen schließt der produktiv Tätige mit dem Ausbeuter einen Vertrag, der scheinbar einen äquivalenten Austausch von Arbeit gegen Lohn zum Inhalt hat. Verfällt man diesem Trugbild, läßt sich nicht entschlüsseln, wie Mehrwert zustande kommt.

Mehrwert entsteht ursächlich weder durch Handel und schon gar nicht, weil das Geld „arbeitet“. Es gibt auf dem kapitalistischen Markt nur eine Mehrwert produzierende Ware. Das ist die menschliche Arbeitskraft. Die Entdeckung von Marx besteht in folgendem: Der Kapitalist bezahlt nicht die Arbeit, sondern lediglich jenen Teil der Arbeits- zeit, der für den Erhalt der Arbeitskraft die künftige Bereitstellung von Arbeitenden und die Aufrechterhaltung kapitalistischer Zustände zwingend erforderlich ist.

Die Mehrarbeit in den restlichen Arbeitsstunden eignet er sich ohne Gegenleistung an. Geld wird erst zu Kapital, wenn es in der Produktion mit dem Ziel eingesetzt wird, Profit zu erzeugen. Der Kapitalist kauft Rohstoffe,
Maschinen, Gebäude usw. Das ist „konstantes Kapital“. Es geht im Produktionsprozeß anteilig in den Wert der hergestellten Waren ein. Es kann also auch keinerlei Mehrwert hervorbringen. Nur der Kapitalanteil, der
für lebendige produktive Arbeit verwendet wird – sei sie vorwiegend manueller oder wissenschaftlich-technischer Natur – vermag das. Diesen Teil kennzeichnet Marx deshalb als „variables Kapital“. Die Kapitalisten sind durch die Konkurrenz untereinander gezwungen, menschliche Arbeit mehr und
mehr durch Maschinen zu ersetzen. So wird die Arbeitsproduktivität gesteigert.

Das ist die positive Seite dieses Vorgangs. Aber damit wächst zugleich das konstante Kapital zu Lasten des variablen. Der Kapitalist ist also – bei Strafe seines Untergangs – genöigt, ständig aus dem relativ kleiner werdenden variablen Teil des Gesamtkapitals größeren Mehrwert herauszupressen. Dieser Zwang verschärft sich unter den heu-tigen Bedingungen der „Globalisierung“.
Wo er kann, verlängert der Kapitalist die Arbeitszeit, um den ihm kostenlos zufallenden Anteil zu erhöhen. Vor allem jedoch zwingt er die Lohnabhängigen zu höherer Arbeitsintensität. Wer nichts besitzt als seine Arbeitskraft und zudem ständig mit der Angst leben muß, sie nicht „verwerten“ zu können, lebt in Lohnsklaverei. Kapitalistische Mehrwertproduktion heißt auf dem Privateigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln fußende Unterjochung.

Privateigentum und Ausbeutung sind Zwillinge. Bereits drei Jahrhunderte vor Marx’ Lebzeiten war in „Utopia“ von Thomas Morus zu lesen: „Bei Gott, wenn ich das alles überdenke, dann erscheint mir jeder der heutigen Staaten nur eine Verschwörung der Reichen, die unter dem Vorwand des Gemeinwohls ihren eigenen Vorteil verfolgen und mit allen Kniffen und Schlichen danach trachten, sich den Besitz dessen zu sichern, was sie unrecht erworben haben, und die Arbeit der Armen für so geringes Entgelt als möglich für sich zu erlangen und auszubeuten.“

Prof. Dr. Götz Dieckmann


Quelle: RotFuchs

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