Eine Streitschrift von Robert Steigerwald
Frühere Professoren und
Dozenten der Parteihochschule "Karl Marx" der SED haben in einem Buch
ihre "Gedanken zur zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung"
(GNN, Schkeuditz, 2012) niedergeschrieben. Der Ökonom Heinz
Wachowitz hat es herausgegeben. In seiner Streitschrift setzt sich
Robert Steigerwald mit einigen Inhalten dieses Buches
auseinander, kritisiert dabei - völlig berechtigt - vor
allem das in diesem Band favorisierte "Transformationskonzept". - Es gab
in diesem Zusammenhang einen sehr aufschlussreichen
Briefwechsel zwischen Robert Steigerwald und dem inzwischen
leider verstorbenen Heinz Wachowitz. "Transformation" ist in Teilen der
Linken seit Längerem "das" Zauberwort. Damit sollen
grundlegende gesellschaftliche Veränderungsprozesse
beschrieben werden. Ein "Zauberwort", das in den Band "Gedanken zur
zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung" unter anderem mit der
Begründung eingeführt wurde, man müsse sich frei machen von
"feststehenden Formeln". "Transformation" ist jedoch - und das ist eben
das Dilemma - ein sehr schwammiger Begriff, mit dem man
sich sehr schnell von der marxistischen Revolutionstheorie
verabschieden kann.
Darauf macht Robert
Steigerwald aufmerksam. Der heutige Transformationsbegriff ist - bezogen
auf die Gesellschaft - reformistisch oder revolutionär
ausdeutbar. Er stammt aus Mathematik, Physik, beschreibt
ursprünglich nur die Veränderung einer Gestalt, Form oder Struktur, eben
nicht aber Entwicklungsprozesse, die Entstehung höherer
Qualitäten.
Er ist - auch deshalb - ungeeignet, aus
marxistischer Sicht Entwicklungsprozesse in Natur, Gesellschaft und
Denken, vor allem aber revolutionäre gesellschaftliche Umbrüche zu
erfassen. Der Revolutionsbegriff, ursprünglich auch aus der
Naturwissenschaft stammend, orientiert dagegen auch noch heute auf die
grundlegende Veränderung der bestehenden
gesellschaftlichen Verhältnisse und lässt sich gerade nicht
auf eine "feststehende Formel" reduzieren. Der leider viel zu früh
verstorbene marxistische Revolutionsforscher Manfred Kossok
machte in "In Tyrannos. Revolutionen der Weltgeschichte" (Leipzig 1989) darauf aufmerksam, dass der Revolutionsbegriff im 17. Jahrhundert noch in dem Sinne verstanden wurde, die
Ereignisse auf ihren Ausgangspunkt zurückzuführen ("In Tyrannos ...", S. 7). Erst in der Aufklärung wurde im 18. Jahrhundert der Revolutions- mit dem Fortschrittsbegriff
verbunden.
Die Ereignisse von 1789
brachten, so Kossok, eine "kopernikanische Wende". "Revolution"
bedeutete nun nicht mehr die Rückkehr zu Gewesenem, sondern
Fortschreiten zu einer neuen, höheren Stufe menschlicher
Existenz. Revolutionen wurden als Staat und Gesellschaft völlig
umwälzende Prozesse begriffen. Sie wurden zudem verstanden als ein
"Massenphänomen", weil die Volksmassen in Bewegung gerieten.
(S. 8) Revolutionen verlaufen zudem nie nach einem einzigen
"Muster". Also warum reden manche Linke heute trotzdem
von Transformation statt von Revolution? Ist das nur ein
Modewort, oder hat das etwas damit zu tun, dass hier Stränge zum
Marxismus gekappt werden?
Steigerwald verteidigt in
seiner Streitschrift den Inhalt des marxistischen Revolutionskonzeptes.
Wer dieses jedoch - auch in unseren Reihen - darauf
reduziert, Revolutionen nur als kurzfristige Ereignisse -
wie den Sturm auf das Winterpalais in Petrograd im Oktober 1917 oder die
Erstürmung der Bastille 1789 - zu betrachten, hat nichts
vom Marxismus und der dialektisch-materialistischen
Entwicklungstheorie begriffen. Revolutionen sind keine
Augenblickserscheinungen, sondern haben eine lange Vorgeschichte, wurden
und
werden auch "geistig" vorbereitet. Mit dem Sturm auf die
Bastille oder das Winterpalais waren die großen Revolutionen auch lange
noch nicht beendet. Alle Verhältnisse mussten umgewälzt
werden ... Wer andererseits die Positionen der
Kommunistinnen und Kommunisten nun wieder auf ein solches
"Revolutionsverständnis", auf "Putschismus", reduzieren will, will sie
diskreditieren. Problematisch sieht Robert Steigerwald also
im Zusammenhang mit der marxistischen Revolutionsauffassung nicht nur
das Transformationskonzept, sondern auch jene "linken"
Positionen in der kommunistischen Bewegung, die die
marxistische Entwicklungs- und die Revolutionstheorie unzulässig
verkürzen. Zur Revolutionstheorie gehört zudem das marxistische
Verständnis des Verhältnisses von Reform und Revolution,
gehört zugleich auch, die Frage nach den möglichen historischen Formen
von "Übergängen" zu stellen.
"Die Suche nach
Übergangsformen vom Kapitalismus zum Sozialismus, nach Zugängen, die den
Menschen begreifbar machen, dass sie weitergehen müssen und uns
allen gemeinsam Wege zeigen, wie wir weitergehen können hin
zu einer humanen Gesellschaft - diese Suche wird nach der Niederlage des
Sozialismus schwerer, aber sie wird mit Sicherheit
nicht weniger notwendig." ("25 Jahre DKP - eine Geschichte ohne Ende, Essen 1993, S. 12)
Robert Steigerwald verweist
in der Streitschrift in diesem Zusammenhang sehr kritisch auf ein
Interview mit einem Verantwortlichen der KKE. Aber diese
Debatte haben wir auch in der DKP. Beispielsweise, wenn
jüngere Genossen die politische Orientierung der DKP auf eine
antimonopolistische Demokratie bzw. antimonopolistische Übergänge auf
dem Weg zum Sozialismus (siehe Parteiprogramm der DKP) als
falsch ansehen und behaupten, die Theorie der antimonopolistischen
Demokratie als "Zwischenstufe zwischen staatsmonopolistischem
Kapitalismus und Sozialismus" stehe "in direktem Widerspruch
zu Lenin". (vgl. dazu auch den Beitrag von Willi Gerns und Robert Steigerwald, die sich mit derartigen Behauptungen
auseinandersetzten, in der UZ vom 29. Juli 2011, S. 15)