Freitag, 22. März 2013

Wo bitte geht hier ein Weg zum Sozialismus?

Eine Streitschrift von Robert Steigerwald

 

Frühere Professoren und Dozenten der Parteihochschule "Karl Marx" der SED haben in einem Buch ihre "Gedanken zur zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung" (GNN, Schkeuditz, 2012) niedergeschrieben. Der Ökonom Heinz Wachowitz hat es herausgegeben. In seiner Streitschrift setzt sich Robert Steigerwald mit einigen Inhalten dieses Buches auseinander, kritisiert dabei - völlig berechtigt - vor allem das in diesem Band favorisierte "Transformationskonzept". - Es gab in diesem Zusammenhang einen sehr aufschlussreichen Briefwechsel zwischen Robert Steigerwald und dem inzwischen leider verstorbenen Heinz Wachowitz. "Transformation" ist in Teilen der Linken seit Längerem "das" Zauberwort. Damit sollen grundlegende gesellschaftliche Veränderungsprozesse beschrieben werden. Ein "Zauberwort", das in den Band "Gedanken zur zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung" unter anderem mit der Begründung eingeführt wurde, man müsse sich frei machen von "feststehenden Formeln". "Transformation" ist jedoch - und das ist eben das Dilemma - ein sehr schwammiger Begriff, mit dem man sich sehr schnell von der marxistischen Revolutionstheorie verabschieden kann.

Darauf macht Robert Steigerwald aufmerksam. Der heutige Transformationsbegriff ist - bezogen auf die Gesellschaft - reformistisch oder revolutionär ausdeutbar. Er stammt aus Mathematik, Physik, beschreibt ursprünglich nur die Veränderung einer Gestalt, Form oder Struktur, eben nicht aber Entwicklungsprozesse, die Entstehung höherer Qualitäten. 

Er ist - auch deshalb - ungeeignet, aus marxistischer Sicht Entwicklungsprozesse in Natur, Gesellschaft und Denken, vor allem aber revolutionäre gesellschaftliche Umbrüche zu erfassen. Der Revolutionsbegriff, ursprünglich auch aus der Naturwissenschaft stammend, orientiert dagegen auch noch heute auf die grundlegende Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und lässt sich gerade nicht auf eine "feststehende Formel" reduzieren. Der leider viel zu früh verstorbene marxistische Revolutionsforscher Manfred Kossok machte in "In Tyrannos. Revolutionen der Weltgeschichte" (Leipzig 1989) darauf aufmerksam, dass der Revolutionsbegriff im 17. Jahrhundert noch in dem Sinne verstanden wurde, die Ereignisse auf ihren Ausgangspunkt zurückzuführen ("In Tyrannos ...", S. 7). Erst in der Aufklärung wurde im 18. Jahrhundert der Revolutions- mit dem Fortschrittsbegriff verbunden.
 

Die Ereignisse von 1789 brachten, so Kossok, eine "kopernikanische Wende". "Revolution" bedeutete nun nicht mehr die Rückkehr zu Gewesenem, sondern Fortschreiten zu einer neuen, höheren Stufe menschlicher Existenz. Revolutionen wurden als Staat und Gesellschaft völlig umwälzende Prozesse begriffen. Sie wurden zudem verstanden als ein "Massenphänomen", weil die Volksmassen in Bewegung gerieten. (S. 8) Revolutionen verlaufen zudem nie nach einem einzigen "Muster". Also warum reden manche Linke heute trotzdem von Transformation statt von Revolution? Ist das nur ein Modewort, oder hat das etwas damit zu tun, dass hier Stränge zum Marxismus gekappt werden?
 

Steigerwald verteidigt in seiner Streitschrift den Inhalt des marxistischen Revolutionskonzeptes. Wer dieses jedoch - auch in unseren Reihen - darauf reduziert, Revolutionen nur als kurzfristige Ereignisse - wie den Sturm auf das Winterpalais in Petrograd im Oktober 1917 oder die Erstürmung der Bastille 1789 - zu betrachten, hat nichts vom Marxismus und der dialektisch-materialistischen Entwicklungstheorie begriffen. Revolutionen sind keine Augenblickserscheinungen, sondern haben eine lange Vorgeschichte, wurden und werden auch "geistig" vorbereitet. Mit dem Sturm auf die Bastille oder das Winterpalais waren die großen Revolutionen auch lange noch nicht beendet. Alle Verhältnisse mussten umgewälzt werden ... Wer andererseits die Positionen der Kommunistinnen und Kommunisten nun wieder auf ein solches "Revolutionsverständnis", auf "Putschismus", reduzieren will, will sie diskreditieren. Problematisch sieht Robert Steigerwald also im Zusammenhang mit der marxistischen Revolutionsauffassung nicht nur das Transformationskonzept, sondern auch jene "linken" Positionen in der kommunistischen Bewegung, die die marxistische Entwicklungs- und die Revolutionstheorie unzulässig verkürzen. Zur Revolutionstheorie gehört zudem das marxistische Verständnis des Verhältnisses von Reform und Revolution, gehört zugleich auch, die Frage nach den möglichen historischen Formen von "Übergängen" zu stellen.
 

"Die Suche nach Übergangsformen vom Kapitalismus zum Sozialismus, nach Zugängen, die den Menschen begreifbar machen, dass sie weitergehen müssen und uns allen gemeinsam Wege zeigen, wie wir weitergehen können hin zu einer humanen Gesellschaft - diese Suche wird nach der Niederlage des Sozialismus schwerer, aber sie wird mit Sicherheit nicht weniger notwendig." ("25 Jahre DKP - eine Geschichte ohne Ende, Essen 1993, S. 12)
 

Robert Steigerwald verweist in der Streitschrift in diesem Zusammenhang sehr kritisch auf ein Interview mit einem Verantwortlichen der KKE. Aber diese Debatte haben wir auch in der DKP. Beispielsweise, wenn jüngere Genossen die politische Orientierung der DKP auf eine antimonopolistische Demokratie bzw. antimonopolistische Übergänge auf dem Weg zum Sozialismus (siehe Parteiprogramm der DKP) als falsch ansehen und behaupten, die Theorie der antimonopolistischen Demokratie als "Zwischenstufe zwischen staatsmonopolistischem Kapitalismus und Sozialismus" stehe "in direktem Widerspruch zu Lenin". (vgl. dazu auch den Beitrag von Willi Gerns und Robert Steigerwald, die sich mit derartigen Behauptungen auseinandersetzten, in der UZ vom 29. Juli 2011, S. 15)

 

Sonntag, 13. Januar 2013

Der Riese erwacht

Koalition des Widerstandes

Auf Initiative von Tony Benn, Politiker aus Großbritannien, sowie Mikis Theodorakis und Manolis Glezos aus Griechenland entstand 2012 eine europäische Koalition des Widerstands. Die folgende Petition wurde am 18. Oktober 2012 in der britschen Tageszeitung "Guardian" veröffentlich und bisher 3000 mal unterzeichnet, unter anderen von zahlreichen Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft u. Kultur sowie europäischen Vertretern von Linksbündnissen und Gewerkschaften. Link

Initiatoren waren u.a.: Tony Benn, 50 Jahre lang Parlamentarier der Labour Party und mehrfacher Minister; Lindsey German, Stop the War Coalition; Natalie Bennett, Vorsitzende Green Party England u. Wales

Die Standpunkte der Koalition des Widerstands wurden in einem offenen Brief von Mikis Theodorakis und Manolis Glezos zuvor wie folgt konkretisiert.

Gemeinsamer Appell für die Rettung der Völker Europas

Europa kann nur überleben, wenn wir den Finanzmärkten unseren vereinten Widerstand entgegenstellen, mit der Forderung nach einem neuen, europäischen »New Deal«.

Wir müssen die Angriffe auf Griechenland und andere EU-Staaten der Peripherie sofort unterbinden; wir müssen die unverantwortliche Spar- und Privatisierungspolitik stoppen, die direkt in  eine schlimmere Krise als die nach 1929 führt.

Öffentliche Schulden müssen europaweit radikal restrukturiert werden, insbesondere zu Lasten der privaten Bankgiganten. Die Kontrolle über die Banken muss wieder in staatliche Hände fallen, ebenso wie die Finanzierung der europäischen Wirtschaft, die unter nationaler und gesellschaftlicher Kontrolle stehen muss.

Man darf die Schlüssel zum Geld nicht Banken wie Goldman Sachs, JP Morgan, UBS, Deutsche Bank usw. überlassen. Wir müssen die unkontrollierten Derivate, die die Speerspitze des destruktiven Finanz-kapitalismus sind, verbannen und echte wirtschaftliche Entwicklung erzeugen statt spekulativer Profite.

Die momentane Architektur des Finanzwesens, welche auf den Verträgen von Maastricht und der WTO basiert, hat in Europa eine Schuldenerzeugungsmaschine geschaffen. Wir brauchen eine radikale Änderung aller Verträge, die Unterordnung der Europäischen Zentralbank (EZB) unter die politische Kontrolle durch die Völker Europas,eine »goldene Regel« für soziale, fiskalische und ökologische Mindeststandards in Europa. Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel, die Rückkehr zur Wachstumsstimulation einen neuen, qualitativen Wachstum durch europäisches Investitionsprogramme; eine neue Regulierung, Besteuerung und Kontrolle des internationalen Kapital- und Warenflusses; eine neue Form des vernünftigen und bedachten Protektionismus in einem unabhängigen Europa, welches der Protagonist im Kampf um einen multipolaren, demokratischen, ökologischen und sozialen Planeten sein wird.

Wir rufen die Kräfte und Individuen, die diese Ideen teilen, auf, so bald wie möglich zu einer breiten europäischen Aktionsfront zu verschmelzen; ein europäisches Übergangsprogramm zu erstellen, unsere internationalen Aktionen zu koordinieren, um so die Kräfte einer öffentlichen Bewegung zu mobilisieren, das
gegenwärtige Mächteverhältnis rückgängig zu machen und die momentanen historisch verantwortungslosen Führungen unserer Länder zu stürzen, um unsere Völker und Gesellschaften zu retten, bevor es für Europa zu spät ist.