Montag, 19. Dezember 2011

Big Brother is watching you

Überwachung grenzenlos

Polizeien und Geheimdienste aller EU-Mitgliedsstaaten sollen zukünftig überall ­abhören dürfen. Auch der Zugriff auf Vorratsdaten wird geregelt

Seit 2006 wird über die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gestritten. Telekommunikationsanbieter sollen verpflichtet werden, Verbindungsdaten für einen längeren Zeitraum zu speichern und auf richterliche Anordnung zugänglich zu machen. Mehrere Länder, darunter Deutschland, Rumänien und Schweden, haben die Richtlinie wegen der Unvereinbarkeit mit ihrer Verfassung noch nicht umgesetzt.

Dessenungeachtet verhandeln die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union über Erleichterungen der Telekommunikationsüberwachung. Zur Debatte steht eine Richtlinie zur sogenannten »Europäischen Ermittlungsanordnung« (EEA). Deren erste überarbeitete Fassung liegt seit letzter Woche vor. Demnach soll der als typisches Kennzeichen der EU geltende »Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung« auch in Zivil- und Strafsachen gelten. Das Abkommen legt fest, unter welchen Bedingungen die Behörden eines Mitgliedsstaats Zwangsmaßnahmen in einem anderen anordnen können. Ebenso wird geregelt, wann diese vom »Vollstreckungsstaat« abgelehnt werden dürfen. Dabei geht es ebenfalls um Hausdurchsuchungen, die Überstellung von Personen oder um das Ausspähen von Bankkonten. Auch der Einsatz verdeckter Ermittler und sogenannte »kontrollierte Lieferungen«, darunter polizeilich observierte oder vorgetäuschte Drogendeals, werden erfaßt.

Zwar findet bereits zwischen einzelnen Ländern eine relativ gut entwickelte Kooperation in Strafsachen statt, aber eben nicht bei allen. Bereits 2008 hatte es deshalb den Versuch gegeben, die grenzüberschreitende Amtshilfe zu standardisieren. Das Abkommen sparte allerdings weite Teile der justitiellen Zusammenarbeit aus: Es fehlten die Durchführung körperlicher Untersuchungen, die Sammlung biometrischer Daten, verdeckte Überwachungsmaßnahmen oder die Kontrolle von Kontobewegungen.

Die EEA wird nun als »Reparatur« ins Rennen geschickt. Vor allem die darin vorgesehene grenzüberschreitende Telekommunikationsüberwachung erhitzt die Gemüter. Dabei geht es sowohl um die Herausgabe bereits vorliegender Verkehrs- und Standortinformationen aus der Vorratsdatenspeicherung (sogenannte »historische Daten«) als auch um das Abhören in Echtzeit. Anordnungen dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn eine entsprechende Maßnahme den Sicherheitsbehörden auch »in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt« werden würde.

Festgelegt wird ebenso, wie lange die Überwachung dauern soll und auf welche Art und Weise die Daten weitergegeben werden. Möglich sind hierfür zwei verschiedene Verfahren: Entweder die direkte Übertragung an ersuchende Polizeien oder Geheimdienste anderer Regierungen oder aber die »Überwachung, Aufzeichnung und anschließende Übermittlung des Ergebnisses«.

Eine weitere Klausel wurde für erwartete Zusatzkosten eingebaut. Die Anordnungsbehörde kann etwa um »eine Transkription, eine Dekodierung oder eine Entschlüsselung der Aufzeichnung ersuchen«. In diesem Fall müssen die Kosten aber von ihr übernommen werden.

Daß die Kostenfrage regelungsbedürftig ist, hatte kürzlich die Überwachung von in Deutschland befindlichen Servern linker Aktivisten gezeigt. Auf Geheiß der Schweizer Polizei hatte das Landeskriminalamt Bayern den Nürnberger IT-Dienstleister Hetzner zur Zusammenarbeit verpflichtet. Mit Software der deutschen Firma DigiTask wurde der Internetverkehr des Züricher »Revolutionären Aufbau« ausgeforscht. Nach Abschluß der Maßnahme hatten Bayern und die Schweiz über die Begleichung von rund 26000 Euro gestritten. Schließlich haben sich beide die Rechnung geteilt.

Quelle: junge Welt 

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