Samstag, 12. November 2011

Warum sind die Medien zur "Occupy-Bewegung" so nett ?

Wenn irgendwo zehntausend Gewerkschafter demonstrieren, ist das in den überregionalen Medien gewöhnlich kaum ein Thema. Wenn hundert Leute unter dem Label "Occupy ..." zelten - schon. Warum ? Auch Polizei und Ordnungsämter, die bei Demos von Linken in der Erfindung von Schikanen ziemlich findig sind,  sind im Fall "Occupy ..." ungewöhnlich milde gestimmt. Warum ? Ähnlich war oder ist es übrigens auch in Griechenland. Da interessiert es kein Medien-Schwein, wenn hundertausend Kommunisten demonstrieren, aber wenn ein paartausend Leute "den Syntagma-Platz besetzen", richten sich Hunderte Kameras aus aller Welt auf sie. Warum ?

Die Occupy"-Leute mögen sich über die mediale Aufmerksamkeit und den freundlichen Ton der Berichterstattung über sie freuen. Da zieht man was auf, und siehe da, man wird wahrgenommen, kommt ins Fernsehen, Mikros werden vor die Nase gehalten und man darf Fragen interessierter Journalisten beantworten ... Die "demokratische Öffentlichkeit" scheint doch zu funktionieren. Man mag sich zunächst freuen, aber dann muss man sich fragen: Warum ? Warum uns die Aufmerksamkeit und über andere, viel mehr Leute, Schweigen.
(Kritisiche Massen)


Ein paar Gesichtspunkte, womit das zu tun haben könnte, werden in diesem Interview mit Heinz Klee angetippt, das heute in junge welt erschienen ist:

»Wir packen unsere roten Fahnen nicht ein«

Sturz oder Erhaltung des Kapitalismus: Wohin geht die »Occupy«-Bewegung – und mit wem? Ein Gespräch mit Heinz Klee, Gitta Düpertha
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In: junge Welt vom 12.11.2011
Heinz Klee ist Sprecher der Arbeitsloseninitiative der IG Metall Frankfurt am Main

Welche Erfahrungen haben Sie mit der in Deutschland hauptsächlich in Frankfurt am Main aktiven »Occupy«-Bewegung gemacht, die Mahnwache vor der Europäischen Zentralbank hält?


Wir wollten mit der Arbeitsloseninitiative der IG Metall gleich zu Beginn des Camps mit einem Transparent einen Solidaritätsbesuch abstatten. Darauf stand: »Sparpolitik ruiniert uns - Europäer wehrt euch, IG Metall Frankfurt«. Sofort kamen Organisatoren von »Occupy« auf uns zu und teilten uns mit, nach einem ihrer Beschlüsse seien Organisationen und Gewerkschaften mit ihren Emblemen und Fahnen auf diesem Platz nicht erwünscht. Das halte ich für einen ersten schwerwiegenden Fehler. Die Vertreter des deutschen Kapitals steuern zunehmend in Richtung Krieg, was die Demokratie im Inneren des Landes zerstört. In dieser Situation müssen alle fortschrittlichen Organisationen und nichtorganisierte Demokraten zusammenarbeiten.

Es fällt auf, daß die »Occupy«-Bewegung in Frankfurt demonstrieren kann, wieviel und wohin auch immer sie möchte. Die Polizei schickt einzig wenige Kommunikatoren - warum das?

Seltsamerweise hatte der öffentlich-rechtliche Sender ARD in seiner Tagesschau, die ich als Regierungsfernsehen bezeichne, selbst appelliert, in der Bundesrepublik zu demonstrieren - nur eine Woche, bevor die »Occupy«-Bewegung zu ihrer ersten Demonstration am 15. Oktober aufgerufen hat. Für mich ist insofern klar, daß ein Teil der Vertreter des deutschen Industriekapitals ein Interesse daran hat, daß gegenwärtig Aktionen gegen die Banken stattfinden. Sie sind bislang mit diesen Protesten sehr zufrieden, zumal nicht gefordert wird, daß der in der Krise befindliche Kapitalismus überwunden werden muß. Konservative Kräfte schätzen es durchaus, wenn Bewegungen nur ein bißchen Kritik üben. So tragen sie nicht zum Sturz des Kapitalismus bei, sondern zu seiner Erhaltung. Eine entscheidende Frage ist deshalb: Wohin geht die Bewegung in dieser Hinsicht?

Wie schätzen Sie die neue Bewegung als Gewerkschafter ein?
 

Wir haben es mit einem Teil des Kleinbürgertums zu tun, während sich die Arbeiterbewegung auf den Straßen kaum sehen läßt. Der große Teil der Gewerkschaftsführung befürwortet nicht, daß der Klassenkampf auf der Straße und in den Betrieben geführt wird. Aufgabe der Arbeiterklasse ist es jetzt, die Auseinandersetzung voranzutreiben, wie in Spanien, Griechenland, wo es Generalstreiks gibt.

Sie finden es bedenklich, wenn der Commerzbank-Chef Martin Blessing ins »Occupy«-Camp spaziert, um über die Finanzkrise aufzuklären...
 

Das Problem ist, daß man den Vorstandsvorsitzenden der Commerzbank dort nicht öffentlich anklagt, sondern mit ihm diskutiert. Das Geldinstitut ist als Bundeswehr- oder Militärbank aufgetreten, indem es seit 2007 gemeinsam mit Panzerdivisionen der Bundeswehr öffentliche Veranstaltungen macht. Dort befürwortet man weitere Aufrüstung und eine Militarisierung der Bevölkerung, der Universitäten und Schulen - und auch den Heimatschutz. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Commerzbank, Klaus-Peter Müller, hat einen Major der Reserve in das Frankfurter Heimatschutz-Kommando entsandt. Und auf Anfrage der Partei Die Linke hat die Bundesregierung im August 2009 geantwortet, nicht darauf verzichten zu wollen, den Heimatschutz auch bei Demonstrationen und Streiks einzusetzen.

Wie kann ein weiterer Umgang zwischen »Occupy« und gewerkschaftlichen Gruppen aussehen?

Wir wollen mit ihnen diskutieren, können uns aber dieser Bewegung nicht unterwerfen, weil es um mehr als ein Protestcamp geht: Wir müssen die Abschaffung der bürgerlichen Demokratie verhindern und Kriege, die von der Bundesrepublik ausgehen. Deswegen packen wir als große Organisation nicht mal unsere roten Fahnen ein, nur weil es dieser spontanen Bewegung so gefällt. Die Fahnen der Arbeiterbewegung zeigen, daß wir organisiert sind und nur gemeinsam etwas erreichen können.

»Occupyer« kontern, Gewerkschaften seien mehrheitlich reformistisch sowie an Hartz IV beteiligt. Insofern äußerten sie Verwunderung, warum ausgerechnet eine linke Minderheit innerhalb der Gewerkschaften unbedingt die Fahne hochhalten will ...

Genau das ist unser Problem: Gerade der Teil der Gewerkschafter, die nicht mehr zum Kampf aufrufen wollen, sondern der Kumpanei mit Unternehmern frönen, freuen sich über die »Occupy«-Bewegung. Sie fordern uns ihrerseits auf, unsere Fahnen einzurollen. Ausgerechnet gegen den fortschrittlichen Part der Gewerkschaften, der seit Jahren gegen die Hartz-Gesetze kämpft und unter dem Slogan »Wir zahlen nicht für eure Krise« auf die Straße geht, wendet sich die neue Bewegung.

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