Donnerstag, 1. Dezember 2011

Faschismus II

In seinem Artikel „Faschismus als Bewegung und an der Macht“ (RF 162) berichtet Götz Dieckmann von „Sturmangriffen“, denen sich Georgi Dimitroffs Bestimmung des Klassencharakters der faschistischen Diktatur heute ausgesetzt sieht. Und er erklärt auch, warum das so ist: „Nichts ist schlimmer für das Monopolkapital als der Nachweis seiner Verantwortung für das Grauen.“ Daher werde der Faschismus heute als „Diktatur wildgewordener Kleinbürger“ dargestellt, der sich das Kapital nur unter Zwang gebeugt habe.

Die Ausführungen Prof. Dieckmanns bedürfen einiger modernisierender Ergänzungen. Denn längst wird der Faschismus an der Macht nicht mehr nur in eine „Diktatur wildgewordener Kleinbürger“ umgelogen. Heute heißt es, er sei eine „antikapitalistische Revolte von unten“ gewesen, ein „barbarischer Rachefeldzug der Zukurzgekommenen gegen individuelles Glück, Schönheit und Emanzipation“.

Jene, die solchem Unsinn das Wort reden, sind nicht etwa Lohnschreiber der Bourgeoisie, sondern sitzen in den Reihen der Linkspartei, der Antifa, in den Universitäten. Vermeintlich marxistische Theoretiker, allen voran der US-Amerikaner Moishe Postone, stehen in den ersten Reihen der Propagandisten dieser neuesten „Faschismustheorien“ und betreiben den dramatischen Paradigmenwechsel in der Faschismusforschung. So schreibt Mathias Wörsching in seinem Aufsatz „Leistungen und Fehlleistungen marxistischer Faschismustheorien aus heutiger Sicht“ (Rundbrief 1/2009 der BAG Rechtsextremismus/Antifaschismus beim Bundesvorstand der Partei Die Linke), Faschismustheorien im Anschluß an Dimitroffs Referat auf dem VII. Weltkongreß krankten an „Desinteresse am Ideologischen“ und einer „Fixierung auf den Faschismus als Herrschaftsform“. Das führe viele Marxisten „zur Vernachlässigung“ der spezifisch faschistischen Form von Antikapitalismus. Diesen „Antikapitalismus“ sieht Wörsching in einer „Feindschaft gegen Liberalismus, Individualismus, bürgerlichen Lebensstil und Hedonismus“.


Aufgrund dieser Analyse plädiert er dafür, nicht der Faschismus als Herrschaftsform solle länger im Vordergrund stehen, sondern der Faschismus als „Revolte gegen die kalte und gefühllose Welt der kapitalistischen Moderne“. Die Faschismustheorie müsse vor allem den „Bruch [...] im Verhältnis von Faschismen und Kapitalismus bestimmen“.

Damit die These vom „Bruch“ Sinn ergibt, muß allerdings nicht nur der Faschismus, sondern auch der Kapitalismus umgedeutet werden. Dabei wird der Faschismus auf Antisemitismus reduziert. Der sei eine Revolte gegen den angeblich „abstrakten“ Kapitalismus, der seinerseits zu einer Art Herrschaft ohne Herrscher verklärt werde. Weil „die Menschen“ aber diese „anonyme Herrschaft“ nicht verstehen, suchen sie
ständig Sündenböcke für alle Übel und finden sie in den Juden. Und als wäre das noch nicht genug, wird dieses Kunststück ausgerechnet mit dem Werk von Karl Marx begründet.

Der hat vom Kapital als „automatischem Subjekt“ gesprochen, um deutlich zu machen, daß die kapitalistische Produktionsweise auch Bedingungen einschließt, die sich dem Willen der Akteure entziehen. Die neuen Faschismustheoretiker benutzen die Rede vom „automatischen Subjekt“ allerdings in einem ganz anderen Sinn. Die kapitalistische Gesellschaft nennen sie einen „apersonalen“ Gesamtzusammenhang. „Herrschende“ existieren darin angeblich nicht. „Da es sich beim Kapitalismus um eine warenvermittelte und somit apersonale ,Herrschaftsform‘ handelt, können keine ,Herrschenden‘ ausgemacht werden, da sie de facto nicht existieren“, erklärt etwa eine „Revolutionäre Aktion Erfurt“.
 
Angesichts dieser „apersonalen Herrschaftsform“, meint ein „Arbeitskreis kritischer Studierender“ aus Kiel, scheint es den Menschen „verlockend, die Repressivität der Strukturen auf Personen und Personengruppen herunterzubrechen“, denn damit wären „Unterdrückung und Ausbeutung sichtbar und zuzuordnen“. Unterdrückung und Ausbeutung sind für diese „Kritiker“ also unsichtbar und nicht zuzuordnen. Ihr Resümee: „Als gesellschaftliches Phänomen taucht diese Art von Kritik unter anderem als Antiamerikanismus oder Antisemitismus auf.“

Oder, in den Worten von Moishe Postone: „Bei der beschriebenen Wende zum Konkreten im Angesicht abstrakter Herrschaft handelt es sich selbstverständlich um eine Form der Verdinglichung. Zwei der verschiedenen Spielarten dieser Verdinglichung, die in den letzten 150 Jahren eine beachtliche Kraft entwickelt haben, sind die Identifikation des globalen Kapitals mit der britischen und später amerikanischen Hegemonie und seine Personifizierung in den Juden.“

Wer Herrschende benennt, bedient antisemitische Ressentiments, produziert faschistische Ideologie. Jeder, der von „Heuschrecken“ oder „Finanzjongleuren“, aber auch von der herrschenden Klasse spricht, meint – das ist die Konsequenz – eigentlich die Juden. So die angeblich daraus resultierende Schlußfolgerung.

Es wäre beruhigend, wenn man das als Gerede einiger Verwirrter abtun könnte. In den verschiedensten Schattierungen ist diese „Faschismustheorie“ aber in der linken Theoriebildung vorherrschend geworden. Vielgelesene Theoretiker wie Michael Heinrich oder Ingo Elbe stehen in ihrem Dunstkreis. Kein Wunder, enthält sie doch ein sehr attraktives Angebot: Man kann „kritisch“ und „gegen Nazis“ sein und gleichzeitig ganz antikommunistisch den Kapitalismus gegen die Gefahr des wahlweise linken oder rechten, gern auch – mit rassistischen Untertönen – „muslimischen“ Antikapitalismus verteidigen. Wen wundert es da, daß selbst im „Handelsblatt“ längst über den „faschistischen Antikapitalismus“geschrieben wird.

Der Faschismus „ist keine über den Klassen stehende Macht, nicht die Macht von Kleinbürgertum oder Lumpenproletariat über das Finanzkapital, sondern er ist die Macht des Finanzkapitals selbst“, sagte Dimitroff. Sein Satz bildet noch immer eine Frontlinie im Klassenkampf. Bleibt der unbewußt, können selbst jene, die glauben, auf der richtigen Seite zu stehen, unversehens auf der Seite des Klassengegners landen – dann mag noch so oft „Antifa“ auf ihren Fahnen stehen. Die Kommunisten dürfen dieses Phänomen nicht unterschätzen:
 
Die „neuesten Faschismustheoretiker“ betreiben das Geschäft der Reaktion.

Werner Erdner, Hamburg


siehe auch: Faschismus I


Quelle: Rotfuchs

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